Kaja in Salem

Oregon - meine zweite Heimat!

Nach unzähligen E-mails, Facebook Nachrichten und sogar einem Telefonat, sollte es am 23. August 2011 endlich los in Richtung Oregon zu meiner Gastfamilie gehen. Der Koffer schien das perfekte Gewicht zu haben, das Handgepäck wurde gut durchdacht und somit fuhr ich ein letztes Mal für 10 Monate aus meiner Straße in Richtung Hamburger Flughafen.

Nachdem ich mich ein paar Tage zuvor von meinen Freunden und einem Teil meiner Familie verabschieden musste, kam nun auch der Abschied von meiner Schwester und meinen Eltern am Flughafen. Selbstverständlich war es unglaublich schwer zu gehen, aber der Gedanke auf mein bevorstehendes Abenteuer ließ kaum Platz für Trauer. Die Aufregung und Vorfreude hatte sich bereits seit Wochen immer weiter angestaut und so konnte ich es zu dem Zeitpunkt einfach kaum noch erwarten, meinem Traum von einem Auslandsjahr endlich entgegen zu fliegen. Ich erinnere mich noch immer gut an den Moment, als mir im Flugzeug erstmals bewusst wurde, was da alles auf mich zukommen würde. Schon seit Wochen schwebte ich in voller Aufregung, aber mit einem Mal war es dann so weit und ich befand mich auf dem direkten Weg zu meiner Gastfamilie, die ich bis zu dem Zeitpunkt nur von Fotos kannte.

Ich sollte für 10 Monate in einem kleinen Dorf im verregneten Oregon wohnen. Meine Gastfamilie setzte sich zusammen aus meiner großen Schwester Rebecca, meiner gleichaltrigen Schwester Nicole, sowie meinen Gasteltern Dawn und John. Schon gleich in der ersten E-Mail meiner Gastmutter erfuhr ich, dass Nicole und ich sogar den gleichen Geburtstag teilten, was dazu führte, dass sie uns nach meiner Ankunft immer überall als Zwillinge vorstellte :-D Nach der Landung in Portland und dem Verlassen des Flugzeuges bewegte ich mich also langsam mit den Massen in Richtung Ausgang, wo ich schon von weitem eine vierköpfige, winkende und strahlende Familie erkennen konnte. Ich wurde ganz herzlich von allen umarmt und konnte gar nicht glauben, dass ich nach so langer Vorbereitungszeit nun endlich an meinem Ziel angekommen war. Wir fuhren also vorerst nach Hause und ich bezog das Zimmer meiner Schwester, das sie mir für meinen Aufenthalt überlassen und liebevoll dekoriert hatte.

Die ersten Tage haben wir viel Zeit damit verbracht uns besser kennenzulernen. Ich wurde Freunden meiner Schwester vorgestellt, bin mit einkaufen gefahren und war schließlich mit meiner Schwester Nicole und ein paar ihrer Freunde auf meinem ersten richtigen High School Footballspiel. Schon da stellte sich zweifellos heraus, dass Sport ein großer Bestandteil des amerikanischen Schullebens darstellt. Ich war absolut fasziniert davon, wie sich die Schüler für das Schulteam begeistern konnten, wie sich alle in den Schulfarben anzogen und gemeinsam mit den Cheerleadern auch bei Regen und kaltem Wind immer fröhlich die Anfeuerungssprüche der Schule jubelten - und jeden einzelnen Punkt ausgelassen feierten. Eine Woche nach meiner Anreise ging es dann erstmals zur Schule. Dort bekam ich meinen Stundenplan mit den Fächern, die ich zuvor selbst wählen konnte. Neben den Pflichtfächern Englisch, Mathe und American Government, hatte ich mich außerdem für einen Sportkurs, Kochen, Erziehung und Theater entschieden. Ein durchaus entspannter, aber auch wirklich interessanter Tagesablauf, wie sich die folgenden Wochen unter Beweis stellte.

Schon nach den ersten Wochen wurde ich in den Gängen der Schule wiedererkannt und von anderen Klassenkameraden mit einem freundlichen ‚Hey, how are you doing?‘, begrüßt. Ich fand relativ schnell Anschluss, da ich neben den Leuten aus meinen Kursen auch die Freunde meiner Gastschwester kennenlernte und wir uns super untereinander verstanden. Dementsprechend beinhalteten meine Wochenenden schon nach nur zwei Monaten Sleepovers mit Freunden, Movie Nights oder Shoppingtrips. Wir hatten immer eine Menge Spaß und haben auch Spieleabende organisiert oder gemeinsam gekocht. Auch mit meiner Familie habe ich mich großartig verstanden. Das lag nicht nur daran, dass alles wirklich von Haus aus super harmoniert hat, sondern auch daran, dass ich als ein weiteres Familienmitglied akzeptiert und nicht nur wie ein Gast behandelt wurde.

Im November begann dann die Schwimmsaison, auf die ich schon seit Schulanfang voller Euphorie hin gefiebert habe. In Deutschland bin ich bereits 10 Jahre im Verein geschwommen, sodass ich es kaum erwarten konnte, für ein High School Team zu starten. Auch meine Gastschwester war mit von der Partie und unglaublich froh darüber, dass wir täglich zusammen trainieren würden. Schon nach dem ersten Mal Training stellte sich bereits heraus, dass Schulsport in den USA kein Zuckerschlecken ist. Jeden Tag wurde direkt nach der Schule von halb vier bis halb sechs trainiert. Wer zu spät kam, musste 20 Liegestützen machen und wir mussten uns zusätzlich einer Moralpredigt über Teamgeist und Pünktlichkeit unterziehen. Einfach aufgeben oder sich ausruhen stand dabei nicht zur Diskussion. Nach den harten Trainingswochen wurden wir bei den Wettkämpfen dann auch mit unseren ersten Erfolgen belohnt. Durch den enormen Teamgeist und die tollen Freundschaften die sich während der Saison aufgebaut haben, war die Schwimmsaison mit die beste Zeit meines gesamten Aufenthalts.

Ein nächstes Highlight war dann Thankgsgiving, was aus reiner Tradition mit der gesamten Familie an der Küste Oregons gefeiert wurde. Dort trafen wir uns mit Tante Und Onkel, Cousin und Cousine sowie deren Freunden und Eltern. Zusammen hatten wir das ganze Wochenende über eine Menge Spaß. Wir haben Spaziergänge gemacht, gespielt, gemeinsam gekocht und schließlich wurde mir sogar die Ehre erteilt, den jährlichen Truthahn anzuschneiden. Auf Thanksgiving folgte dann das amerikanische Weihnachtsfest. Unseren Tannenbaum haben wir aus dem Garten selber gefällt und später wurde er im Wohnzimmer von mir und meinen Gastschwestern geschmückt. Heiligabend haben wir wieder mit alle Mann bei meiner Gasttante gefeiert. Das absolute Highlight des Abends war dann neben dem ganzen guten Essen, als ich versucht habe der ganzen Sippe ‚Oh Tannenbaum‘ auf Deutsch beizubringen. Das hat nicht nur mich schrecklich amüsiert, sondern auch alle anderen, die einfach nicht glauben konnten, dass wir tatsächlich Wörter wie ‚Besinnlichkeit‘ aussprechen können. Weihnachtsmorgen fand bei uns im engen Familienkreis die Bescherung statt. Erstmals öffnete ich also eine ‚american stocking‘, die meine Gastmutter mir und meinen Schwestern mit kleinen Gutscheinen und Süßigkeiten gefüllt hatte. In der Zeit von Januar bis April habe ich mit meiner Familie ein paar Tagesausflüge unternommen. Auch meine Gasttante und mein Gastonkel haben großen Wert darauf gelegt, mir ein bisschen was von Oregon zu zeigen und sind daher mit mir und meiner Schwester Nicole für ein Wochenende in die Berge gefahren. Dort standen Nicole und ich erstmals auf Skiern. Wir haben uns aber bereits am Ende des ersten Tages nach ein paar Unterrichtsstunden die steilsten Pisten runtergewagt. Während der Frühjahrsferien war ich noch für fünf Tage in Seattle und habe außerdem für eine Woche bei meiner besten amerikanischen Freundin gewohnt, die eine ganze Liste mit Dingen hatte, die sie mit mir unternehmen wollte.

Als dann die Schule wieder losging, liefen bereits die Vorbereitungen für den ‚Prom‘, der Schulball, der mit dem deutschen Abiball zu vergleichen ist. Er fand unter dem Motto ‚A night in New York‘ statt und die Stimmung in der Schule war absolut atemberaubend. Es herrschte Ausnahmezustand und sogar unsere Schule war überall mit Plakaten und Girlanden geschmückt. Die Wochenenden wurden dann damit verbracht, Kleider zu shoppen oder den perfekten Schmuck zu besorgen. Am 5. Mai war es dann aber endlich soweit: Mit einer Gruppe von Freunden trafen wir uns erst bei einem Freund zum festlichen Abendessen. Das wurde von den Eltern organisiert, die sogar eine Menütafel zusammengestellt hatten und uns als Kellner verkleidet bedient haben. Danach wurden wir im schicken Auto zum ‚Oregon Garden‘ gefahren, wo der tatsächliche Ball stattfand. Der Eingang wurde durch einen roten Teppich markiert und auch die Decke war mit kleinen Lichterketten versehen. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung und ich hatte eine Menge Spaß, was natürlich auch daran lag, dass ich den Abend mit all meinen besten Freunden verbringen durfte.

Eines der letzten weiteren absoluten Highlights meines Jahres war dann die Graduation (Abschlusszeremonie). Ich habe mich tatsächlich gefühlt als wäre ich Teil der High School Musical Filme so wie ich in meinem Gewand und Doktorhütchen auf dem Kopf, festlich vor ca. 2000 Leuten in die geschmückte Schulsporthalle eingezogen bin. Dort wurde uns dann nach und nach auf der Bühne unser Abschlussdiploma überreicht. Einer der besten Teile dieses Abends war dann tatsächlich, wie wir - nachdem wir alle unser Diploma erhalten haben - unsere Hüte in die Luft geschmissen haben. Nach der Zeremonie wurde ich dann bereits vor der Schule von meiner Familie und einigen Freunden freudestrahlend in Empfang genommen. Wir haben unendlich viele Fotos gemacht und danach ging es mit den anderen Schulabsolventen mit Schulbussen in Richtung Erlebnisbad, wo eine große Abschlussparty bis morgens um fünf stattfand. Auch wenn dieses Ereignis den Abschluss meines amerikanischen Schuljahres markiert hat, war ich zu der Zeit einfach nur unglaublich froh, dass ich das große Glück hatte, nach einem so grandiosen Schuljahr daran teilnehmen zu dürfen. Gleichzeitig war ich aber natürlich auch traurig, weil mir nach meinem Abschluss nur noch zwei Wochen bis zu meiner Abreise blieben.

Diese zwei Wochen wurden aber noch einmal voll ausgenutzt. Fast jeden Tag habe ich mich mit Freunden getroffen. Mit meiner Gastfamilie und einer befreundeten Familie haben wir noch einen Wochenendausflug an einen zwei Stunden entfernten Bergsee gemacht, und die Abende habe ich häufig mit meinen Gastschwester Zuhause verbracht. Schließlich war es dann unvermeidbar mich mit dem Packen zu beschäftigen. Trotz der super Erfahrungen war auch meine Familie über die bevorstehende Abreise wirklich traurig. Meine Gastschwester mochte nicht einmal an meinem leeren Zimmer vorbeigehen, da sie sich noch immer ausmalte, dass ich einfach bleiben könnte. Und tatsächlich stelle sich meine letzte Woche in Oregon als sehr tränenreich heraus. Jeden Tag musste ich mich von jemand anderem verabschieden, den ich über die 10 Monate in meiner Gastfamilie unglaublich lieb gewonnen habe. Zum Schluss fand dann auch noch eine von meinen Gasteltern geplante Abschlussfeier für mich statt, zu der ca. 25 meiner Freunde kamen, sowie einige Nachbarn und andere Familienmitglieder. Wir hatten nochmals eine Menge Spaß und mir wurde vor allem an dem Abend so richtig bewusst, wie großartig meine amerikanische Familie und all meine Freunde wirklich waren. Sie haben mir den ganzen Staat gezeigt, tolle Ausflüge mit mir unternommen und mich wie eine Tochter bzw. Schwester behandelt und akzeptiert. Meine Freunde haben mir immer gesagt, dass sie gedacht haben, dass ich einfach bleiben könnte, weil auch sie das Gefühl hatten, als wäre ich schon mein Leben lang in Silverton (hier lag meine Schule) gewesen.

Das alles hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, aufgeschlossen und herzlich gegenüber anderen zu sein. Ich habe durch mein Auslandsjahr viel über mich gelernt, aber auch über meine Familie und Freunde in Deutschland. Alle haben sich um ständigen Kontakt bemüht und mich wie es nur ging auch trotz der Entfernung unterstützt. Ich habe über die 10 Monate in Oregon eine zweite Familie bekommen, Freundschaften fürs Leben geschlossen und unglaubliche Erfahrungen gesammelt, die mir niemand mehr nehmen kann. Ich habe Eindrücke einer anderen Kultur und eines anderen Schulsystems gewonnen und obwohl ich nun so weit von meinen amerikanischen Freunden und meiner zweiten Familie entfernt bin, werde ich all unsere gemeinsamen Erfahrungen und all die schönen Erinnerungen immer ganz nah bei mir haben. Wir haben noch immer wöchentlich Kontakt, skypen viel und haben die nächsten Besuche bereits geplant. Ich kann es schon jetzt kaum erwarten, meine nächsten Sommerferien in Oregon zu verbringen und mit meiner Gastschwester in zwei Jahren durch Europa zu reisen. Ich hoffe ich habe euch mit meinem Bericht nicht allzu sehr gelangweilt :-) Wenn ihr wirklich über ein Auslandsjahr nachdenkt, oder sich Zweifel breit machen ob ihr nicht etwas verpasst wenn ihr Zuhause in Deutschland bleibt, kann ich euch nur empfehlen, diesen Schritt zu gehen. Ich habe meine Entscheidung nach Amerika zu gehen nicht einmal bereut, sondern bin noch immer stolz auf mich, dass ich es gewagt habe mich ins Ungewisse zu stürzen. Es haben sich nicht nur meine Englischkenntnisse enorm verbessert, sondern ich habe wirklich viel gelernt über das gesamte Jahr und so viele liebenswürdige Menschen kennengelernt, die immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben werden. So don’t dream about becoming an exchange student. Just do it!