Lara in Brasilien

Erster Schultag

Seit einer Woche bin ich nun schon in diesem Land, und obwohl ich schon früher in Brasilien war, so kommt mir noch immer vieles schräg und unverständlich vor. Meine Bisherige Zeit habe ich damit verbracht, mich in mein neues Familienumfeld einzuleben. Meine gleichaltrige Gastschwester hat sich meiner angenommen, und ist mit mir jeden Tag ins Stadtzentrum gegangen, damit ich mir die Stassen mal ansehen konnte. Heute war mein erster Schultag. Eigentlich wollte ich gar nicht so recht in die Schule. Ich hatte Angst bekommen und bei mirgedacht: „Was, wenn ich sie nicht verstehe?“ Obwohl ich schon von zu Hause her Portugiesisch spreche, so ist ihr Dialekt ganz anders als meiner und manchmal verstandich ihn nicht. „Was, wenn ich michnicht gut in die Klasse integrieren kann?“ Schliesslich hatte ich bereits viele Unterschiede zwischen dieser und meiner Kultur festgestellt. Und schliesslich: „Wie soll ich mich verhalten?“ So stand ich also vor dem Schulhaus, zu dem mich Sandra, meine Gastmutter, auf dem Weg zu Arbeit gebracht hatte, und nahm all meinen Mut zusammen. Die Direktorin der Schule, die mich schon in den Ferien herumgeführt hatte, überliess mich einer Sekretärin, die mich ins Klassenzimmer brachte. Mein erster Schultag war eigentlich wie in einemdieser Hollywoodfilme und entsprechend lustig fand ich den Gedanken, denn als ich die Klasse betrat–viele Schüler waren schon anwesend –sagte die Sekretärin: „Guten Morgen Leute. Das ist Lara, sie wird von heute an in eurer Klasse sein.“ Alle die sich bisher noch nicht zu mir umgedreht hatten, taten es nun,und riefenim Chor „Hallo Lara!“. Einige Mädchen kamen und umarmten mich begrüssend, andere verrieten mir schon ihre Namen und wieder andere begannen schon eifrig Fragen zu stellen. Sehr viel später erfuhr ich, dass sie sich alle sehr auf mein Kommen gefreut hatten :-) Als der Unterricht kurz darauf begann, schaute ich mich aufmerksam um: Die markantesten Unterschiede von Zuhause waren, abgesehen von der Schuluniform (bestehend aus einem weiss-­blauen T-­Shirt und Jeans), die Pulte, die aus amerikanischen Filmen entsprungen zu sein schienen. Die Wandtafel war weiss und wurde mit Stiften bemalen und nicht mit Kreiden. Was mich aber am meisten erstaunte war, dass zwischen all den brasilianischen Mädchen, ich die Einzige mit gekräuseltem Haar war und bei den Jungen gab es auch nur einen. Haarefärben und Tattoos waren in meiner Klasse auch nicht gerade selten. Aber die Herzlichkeit mit der ich stets bei allen Gruppen empfangen wurde, in den Pausen war sehr angenehm und so typisch, für Brasilianer.

MMA

Mein Alltag hat sich inzwischen eingependelt. Tägliche Schulbesuche und regelmässige Brazilian Jiu Jitsu Trainings sind mein Alltag geworden. Was ich aber schnell heraus gefunden habe, ist, dass das Volk – zumindest in Araraquara – nicht nur Fussball vergöttert, aber auch gerne MMA Kämpfen zuschaut. Durch mein Training hatte ich also plötzlich direkten Bezug zu Leuten, die das kämpften. Mein Trainer und eine Braungürtin in BJJ trainierten im selben Lokal auch MMA und kämpfen professionell. So hatten beide einen Kampf am Predador FC n° 23, in São José de Rio Preto, an dem ich live zuschauen gegangen bin, mit etwa zehn weiteren aus dem Training. Wenn ich ehrlich bin, dann ging ich einfach mit, um meine Freunde kämpfen sehen zu können und weil eine Freundin aus dem Training fand, es wäre „cool“. In Gedanken sah ich mich schon, in den Sitz gedrückt und die Hände vor den Augen – oder so ähnlich. Denn bisher waren so lch „brutale“ Kämpfe nichts, das mir gefallen hätte. Aber das Feeling, den Ring so nah zu sein und nicht durch einen Flimmerkasten zu sehen, war unbeschreiblich! Auch das Teamgefühl war sehr stark. Die Kämpfe haben mir gefallen, denn sie haben, anders als Gedacht, auch strikte Regelungen und waren gar nicht so brutal. Und zu sehen, wie mein Team, seine Kontrahenden innert 3 Minuten zum kapitulierenden Abklopfen brachte, war ein echt cooles Feeling!

Familienaktivitäten und Freizeit

Neben MMA habe ich auch Capoeira mit großer Leidenschaft ausgeübt. Das hat mir wirklich viel Spass gemacht und ist typisch Brasilianisch!

Besonders genossen habe ich auch die Abende in einem sogenannten „Chacara“. Es ist ein Haus mit umliegendem Grundstück, das für Feste oder als Ferienwohnung genutzt werden kann. In diesem Fall gehörte es einer Schulfreundin, die immer für das Wochenende über dorthin kommt, um sich mit der Familie (Tanten und Onkel und Cousins) zu treffen und ein Churrasco zu machen. Brasilianisches BBQ ist sehr speziell, denn Ziel ist es, viel Fleisch auf den Grill zu packen und dann laufend Würstchen oder Fleisch kleinzuschneiden und den Leuten in Häppchen anzubieten. Das macht einen riesen Spass und man kann dabei stehen oder sitzen, und vor allem ausgelassen reden und lachen.

Abschied

Die letzte Woche in Brasilien war vor allem eines: Stressig. Ich suchte mich zu beschäftigen und möglichst wenig an meine bevorstehende Abreise zu denken. Im letzten Monat war ich immer häufiger gefragt worden, wann ich denn abreisen würde. Von Montag bis Mittwochabend war ich bei meiner Gastschwester ihrer Wohnung, in Uberaba, Minas Gerais, wo sie in die Uni geht. In Uberaba, lernte ich eine ganz neue Seite an Brasilien kennen; eine mit vielen Hügeln und Pãode Queijo, den besten Käsebrötchen in ganz Brasilien. Nach diesem kurzen Abenteuer musste ich mich schliesslich von Nathi verabschieden, am Mittwoch kurz vor Mitternacht, denn dann musste ich zurück nach Araraquara, São Paulo und den letzten Tag überstehen. Dieser bestand aus Leute von der Schule, Training, Familie und Freunde aufsuchen und mich von ihnen verabschieden. Und jedes Mal schmerzte mein Herz mehr. Wollte ich zurück? Definitiv nicht! Und jedes Mal wenn mich die Traurigkeit überrannte, versicherte ich mir, ich würde hierher zurückkommen. Schlussendlich stand ich im Gate des Flughafens von Ribeirão Preto und weinte still vor mich hin. Noch immer konnte ich nicht glauben, dass ich wirklich abreiste. Dass ich wahrhaftig dieses Jahr hatte erleben dürfen, soviele neue Freundschaften schliessen, mein Portugiesisch verbessern, Sport treiben wie noch nie zuvor, und Teile iner komplett anderen Familie werden. Das alles durchlebte ich noch einmal, als ich in den kleinen Flieger stieg und mich an den Fensterplatz setzte. Wie gebannt starrte ich auf die sich im Wind bewegende brasilianische Flagge. Ordem e progresso. Ordnung und Fortschritt. Die Gesichter aller, die ich in diesem Jahr ins Herz geschlossen hatte, erschienen vor meinem geistigen Auge. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und begann zu lächeln. Denn in diesem Moment nahm ich mir ganz fest vor, spätestens in drei Jahren wieder in Araraquara vorbeizuschauen…