«Vive la France! » hab ich mir gedacht und beschlossen, ein Schuljahr dort zu verbringen. Ich wollte mal was Neues erleben, raus aus dem Alltag, eine neue Kultur und neue Menschen kennenlernen, mein Selbstbewusstsein stärken und natürlich Französisch lernen. Ich wusste, dass es nicht einfach sein würde. Diesen ganzen Standardsprüchen wie „Es war das schönste Jahr meines Lebens!“ von ehemaligen Austauschschülern traute ich nicht so ganz, aber ich wollte es trotzdem durchziehen, wenn es mir nicht gefiel würde ich einfach den Kontakt danach abbrechen und das Jahr ganz schnell wieder vergessen, hab ich mir so gedacht. Meine Französischkenntnisse hätte ich ja sicher. Wie ich damals so denken konnte weiß ich heute auch nicht mehr, ich bin jetzt jedenfalls ehemalige Austauschschülerin und kann nur sagen, es war das schönste Jahr meines Lebens! Ganz ehrlich! :-) Ich bin noch ständig in Kontakt mit meinen Freunden „da unten“ und vergessen könnte ich diese Erfahrung nie – ich denke jeden der ein Jahr im Ausland verbracht hat, verfolgt das danach sein ganzes Leben lang.
Los ging alles mit Gastfamilie auf den letzten Drücker, intensivem Grübeln über die Gastgeschenke, Kofferpacken am Abend vor dem Abflug und einer schlaflosen Nacht… So überrumpelt kam ich dann auch, schon wenige Stunden nach der Verabschiedung von Familie und Freunden am Flughafen in Hamburg, bei meiner neuen Familie in Frankreich an – das ist ja nicht ganz so weit weg wie Amerika. Ich wurde total lieb aufgenommen, fand meine Gastmutter und meine gleichaltrige Gastschwester super nett und war begeistert von dem großen Haus, meinem eigenen Zimmer und Badezimmer und dem Pool im Garten. Abends fanden regelmäßig Familien- oder Freundestreffen auf der Terrasse statt, es gab Baguette und Käse und Fleisch, alles was man sich halt unter Frankreich vorstellt! Ich fühlte mich wie im Urlaub, bis dann die Schule anfing. Was ich vorher so darüber gehört hatte („Schule in Frankreich ist mit das Schwerste was es gibt – Respekt, dass du dir das antust!“) hatte mich nicht wirklich ermutigt. Anfangs war es tatsächlich nicht ganz leicht mich zurecht zu finden, vor allem weil ich niemanden kannte und an diese schnelle Sprache hatte ich mich auch noch nicht ganz gewöhnt. Ich habe dann relativ schnell die Klasse gewechselt, weil ich lieber Deutsch- statt Spanischunterricht haben wollte. Wenn ich schreibe "relativ schnell", dann heißt das, ich habe nach einer halben Woche Bescheid gesagt und konnte nach zwei Wochen die Klasse wechseln. Das ist einfach so in Frankreich, ganz nach dem Motto „Was du heute kannst besorgen das verschiebe doch auf Morgen.“
Und so lernte ich das Leben in Frankreich immer besser kennen und fand, dass es zum Beispiel gar nicht so schlimm ist wenn man nach der Schule erst gegen sechs zu Hause ist, oder dass das Essen in der Kantine eigentlich gut schmeckt, gewöhnte mich an Baguette statt Schwarzbrot und an Leitungswasser statt Orangensaft. Außerdem war meine Angst, durch den ganzen Käse (den es wirklich nach jedem Abendbrot zu dem Baguette gibt) zuzunehmen, völlig unbegründet, ich nahm sogar ein, zwei Kilo ab! Der Essrhythmus der Franzosen ist nämlich so raffiniert, dass, wenn man sich an die vorgegebenen Esszeiten hält, gar nichts schiefgehen kann. Außerdem wird man beim Fernsehgucken in der Werbung immer wieder dran erinnert, nicht zwischen den Mahlzeiten zu naschen und mindestens fünf Obst und Früchte am Tag zu essen, zudem mindestens einmal am Tag Fleisch. Scheint sich jeder dran zu halten… Ich als Vegetarierin habe sogar aus Liebe zu diesem Land wieder angefangen Fleisch zu essen! Und da fragt man sich, warum die Franzosen alle so dünn sind…
In der Schule Freunde zu finden war gar nicht so einfach, die Franzosen sagen sogar von sich selbst, dass sie verschlossen gegenüber Neuen sind und lieber unter sich in ihren Grüppchen bleiben. Nichts mit Ausländerbonus oder so. Trotzdem fand ich es kein Problem Anschluss zu finden, man muss sich einfach trauen Leute anzusprechen und offen für Neues sein, dann kommen die auch aus sich raus. Mit der Zeit lief es in der Schule also immer besser, in der Gastfamilie dafür immer schlechter. Ich habe gelernt, dass ein schönes Haus neben der Familie totale Nebensache ist, ich wohnte wie im Märchen und doch fühlte ich mich wirklich unwohl… Ich blieb genau drei Monate in dieser Familie, kam dann in eine Übergangsfamilie bis ich zu meiner Freundin ziehen konnte (die gerade mitten im Umzug war und mich deswegen nicht gleich hatte aufnehmen können). Es war wahnsinnig schön in meiner letzten Gastfamilie, meine Gastmutter bekam quasi ein viertes Kind zu ihren zwei Söhnen und ihrer Tochter, ich half mit bei der Einrichtung des neuen Hauses, teilte mir ein Zimmer mit meiner Gastschwester und hatte nicht mal mehr mein eigenes Badezimmer - trotzdem hätte es nicht besser sein können! Ich hatte vorher immer Angst vor einem Familienwechsel gehabt und gehofft, dass mir so etwas nie passieren würde. Nun habe ich sogar zwei davon durchgemacht und finde, dass es manchmal einfach das Beste ist, was man machen kann und auch sollte, bevor man ein unglückliches Jahr verbringt nur aus Angst vor..… ja, wovor auch immer (vielleicht der Reaktion der Gastfamilie oder dem „Neuanfang“, der insofern ja keiner ist, denn man bleibt meistens auf der Schule und behält auch seine Freunde). Ich habe drei komplett unterschiedliche Familiensituationen und –gewohnheiten kennengelernt und daraus nur Positives mitnehmen können!
Was ich auch noch spannend fand, waren die vielen anderen Ausländer, die ich kennengelernt habe. Ich hatte das Glück auf einer in dem Bereich der Ausländeraufnahme sehr engagierten Schule zu sein. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen erst mal nichts mit anderen Ausländern zu tun zu haben, weil ich ja schließlich da war, um Französisch zu lernen und nicht um Englisch oder gar Deutsch zu reden. Aber weil wir ja irgendwie alle das Gleiche durchmachten und auch immer Französisch miteinander redeten, verbrachten wir oft Zeit zusammen und erzählten uns von den neusten Sorgen und Freuden die wir hatten. Vielleicht zu oft, sodass wir Verbot bekamen uns in Grüppchen auf den Schulhof zu stellen und uns stattdessen unter Franzosen mischen sollten… :-) So ernst wurde das dann aber nicht genommen, irgendwann hatte jeder seinen französischen Freundeskreis und wir Ausländer waren sowas wie eine große Familie. Wir halfen uns und berieten uns, wenn es Probleme gab, lachten und weinten sogar zusammen… Jetzt habe ich im wahrsten Sinnen des Wortes Freunde auf der ganzen Welt! Eine meiner besten Freundinnen wohnt in Belgien, eine andere in Norwegen, dann kenne ich noch Mexikaner, Venezolaner, Amerikaner, Italiener, Schweden, Australier, Spanier…
Und es stellte sich heraus, dass was ich vorher über das Schulsystem gehört hatte, alles sehr übertrieben war, denn klar muss man ein bisschen arbeiten, aber fast alle von uns Ausländern haben es geschafft unter den Besten der Klasse zu sein. Ohne den Englischunterricht kritisieren oder abwerten zu wollen muss ich jedoch zugeben, dass es in diesem Fach auch kein großes Wunder war. Wer also Englisch lernen möchte sollte lieber doch nach Amerika gehen! ;) Wer dagegen in das Land der Mode (ich kann sie aus eigener Erfahrung nur empfehlen), der guten Fahrkünste (oder auch: der schnell erweiterten Parklücke), der Gelassenheit (mittlerweile liebe ich das Motto!), der fabelhaften Küche (und das ohne zuzunehmen) und der gesungenen Sprache (die man dann irgendwann selber singen kann) reisen möchte, dem kann ich das wärmstens empfehlen – bereuen werde ich nie, dass ich mich für dieses Jahr entschieden habe!
Als es dann nach einem Jahr, oder um genau zu sein nach zehn Monaten, zurück Richtung Heimat ging, fühlte ich mich schon wieder überrumpelt, wie ganz am Anfang auch. Die Zeit verging viel schneller als ich gedacht hatte und auch als ich wollte. Ich musste und wollte plötzlich noch so viel erledigen, mich mit so vielen treffen, Freunde, deren Familien und mich von wichtigen Orte und Plätze verabschieden, dass es die stressigste Zeit des ganzen Jahres wurde! Der Abschied von Freunden und Familie in Frankreich fiel mir schwerer als der damals in Deutschland, denn ich wusste nicht, wann ich sie das nächste Mal wiedersehen würde… Aber ich weiß, dass ich ganz sicher wieder hinfliege, es kommen mich sogar einige meiner Freunde in Deutschland besuchen. Und bis dahin telefonieren wir, Texten, senden E-Mails oder Briefe...