Dana in Rawdon

Jeder geht ja mit gewissen Vorstellungen an seinen Austausch und jeder bekommt vorher mindestens hundert Mal zu hören, dass es am Ende doch ganz anders sein wird als man denkt und vor allem, dass man sich am Ende des Jahres oder Halbjahres, das man im Ausland verbringt, fragen wird, wo die Zeit eigentlich geblieben ist. Eigentlich dürften diese beiden Tatsachen also keine Überraschung mehr sein, denn man kennt sie ja nun – und trotzdem steht man nachher, wenn es zurück nach Deutschland geht, am Flughafen und hat das Gefühl, dass man grade erst angekommen ist und da wird einem dann erst richtig klar, was die anderen eigentlich damit meinten, als sie einem vor einem Jahr oder noch früher erzählten, dass ein Jahr im Grunde sehr kurz ist. Es gibt Sachen, die versteht man erst wirklich, wenn man sie selbst erlebt, auch wenn man schon vorher eine gewisse Vorstellung davon hatte. So war es für mich mit meinem Auslandsjahr: ich wusste schon vorher, dass die meisten Leute von ihrem begeistert waren und habe es erst richtig verstanden, als ich mein eigenes erlebte. Meine Rückkehr nach Deutschland ist nun ziemlich genau ein halbes Jahr her und um erst von der Arbeit zu erzählen und später über das Vergnügen zu berichten, fange ich jetzt mal im letzten Juli an. Das Schlimmste an meinem gesamten Austausch war tatsächlich die erste Woche nach meiner Rückkehr aus Québec. Da ich mich in den letzten Wochen immer geweigert hatte, mich mit dem nahenden Abschied und dem Wechsel zurück in mein altes Leben zu befassen, kam mir die ganze Situation so unwirklich wie ein Traum vor. Erst am Flughafen in Montréal realisierte ich, dass meine Zeit in Québec nun wirklich zu Ende war, aber ich wäre gern noch ein paar Tage im Flugzeug rumgeflogen um diese neue Erkenntnis vor meiner Ankunft in Deutschland ein wenig zu verdauen. Zwar versuchte meine Familie, mich so gut wie möglich zu unterstützen und auch meine Freunde bemühten sich ständig, etwas mit mir zu unternehmen, aber letztendlich konnten sie meine Gastfamilie und meine Freunde des vergangenen Jahres auch nicht einfach ersetzen und es dauerte eine Weile bis ich mir nicht mehr ständig wünschte, einfach ins Flugzeug zu steigen und zurück zu fliegen. Mittlerweile habe ich mich wieder gut eingelebt und alle paar Wochen schreibe ich mit meinen Freunden und telefoniere mit meiner Gastfamilie, die plant, mich nächsten Sommer hier in Deutschland zu besuchen. Auf die Idee, meinen Austausch im französischen Teil Kanadas zu verbringen, kam ich relativ spät. Ursprünglich hatte ich mich für England beworben, aber im Laufe des Interviews bei into kam ich dann auf diese Idee. Da man häufig hört, dass die Suche nach einer Gastfamilie sehr lang dauern kann, war ich überrascht, meine schon knapp einen Monat nach Abschluss des Vertrags zu bekommen. Die meisten Austauschschüler wollen ja möglichst früh eine haben, aber mir wäre es im Nachhinein fast lieber gewesen, meine später zu bekommen, weil mein Französisch nicht besonders gut war und ich außerdem nicht wusste, worüber ich mich vor meinem Abflug monatelang mit ihnen unterhalten sollte. Am Tag meiner Abreise war ich eigentlich relativ unaufgeregt, es ging ja erstmal für fünf Tage nach Toronto. Dort war es sehr schön und außerdem war es hilfreich, mit anderen zukünftigen Austauschschülern reden zu können und zu merken, dass es durchaus auch normal ist, hier und da vor der Abreise manchmal kleine Zweifel zu haben. Die ersten Tage bei meiner neuen Familie, die aus einem jungen Ehepaar mit drei Töchtern bestand, in Rawdon, ca. 50km nördlich von Montréal, waren relativ ruhig. Ich kam mir sogar schon unnormal vor weil ich alles so normal fand. Ich hatte kein Heimweh, aber ich war auch nicht total aufgeregt  wegen der neuen Umgebung. Meine Familie war von Anfang an sehr nett zu mir. Ich bin Vegetarierin und glücklicherweise war meine Gastfamilie sehr rücksichtsvoll in dieser Hinsicht. Anfangs war ich skeptisch, da ich schon ihre dritte Austauschschülerin war und mich deswegen gefragt habe, was da die Einzelne für einen Wert hat, aber vor allem in solchen besonderen Situationen hat es sich als hilfreich herausgestellt nicht die Erste zu sein. Sie waren sehr liberal und offen für Neues und kamen mir entgegen, wo sie konnten. Nach einer Woche fing die Schule für mich an. Da die Stadt, in der ich lebte, eher klein war, gab es nur 600 Schüler auf meiner Schule. Außer mir waren noch ein Austauschschüler aus der Schweiz und eine Norwegerin da. Das Fächerangebot war nicht so groß, wie man es oft von den High Schools in den USA hört, aber das hat mich nicht besonders gestört, da die meisten Fächer, die inhaltlich zwar gleich sind, doch sehr anders unterrichtet werden. Außerdem war der Umgang mit den Lehrern sehr viel persönlicher als in Deutschland. Alle duzten sich und es war normal mit Lehrern bei facebook befreundet zu sein. Meine Freunde lernte ich nicht alle gleich zu Anfang meines Aufenthalts kennen, obwohl die meisten meiner Mitschüler von Anfang an sehr offen und interessiert waren. In den ersten Wochen in der Schule verstand ich so gut wie nichts von dem, was irgendjemand sagte. Trotzdem gelang es mir irgendwie, in keinem Fach durchzufallen. Ich meldete mich sehr schnell für die Hockeymannschaft weil ich da schon einige Mädchen kannte. Außerdem kam ich ins Schwimmteam der Schule. Es gab keine „Try-outs“ oder so, von denen man oft hört, sondern es konnte jeder mitmachen, der wollte. Die Schule ging immer von 9:15 bis 16:00. Jeden Tag gab es vier Stunden und der Stundenplan wiederholte sich im 9-Tage-Rythmus. Nach dem Unterricht hatte ich fast jeden Tag bis um sechs Uhr Training und war dann um halb sieben zu Hause. Obwohl es ein großer Zeitaufwand ist, empfehle ich jedem, in möglichst viele Nachmittagsaktivitäten zu gehen und vor allem an Schulausflügen teilzunehmen, denn das sind die besten Gelegenheiten um Kontakt zu Mitschülern zu bekommen. An meiner Schule gab es einen „Club de Marche“, der dreimal im Schuljahr Wanderausflüge veranstaltete. Normalerweise waren das Samstage, an denen man morgens von der Schule aus losfuhr und dann irgendwann sehr spät abends zurück kam, aber am Ende des Schuljahres, machten wir einen dreitägigen Ausflug in die Estrie (in den Appalachen), wo wir in der Sporthalle einer anderen Schule übernachten durften. Dieses Wochenende hat mir sehr Spaß gemacht und ich zähle es auf jeden Fall zu den besten Erlebnissen meines Austauschjahres. Ansonsten habe ich bewusst an Aktivitäten teilgenommen, die ich in Deutschland nicht so einfach hätte machen können. Mein Schwimmtrainer hatte eine Schlittenhundefarm, auf der er im Winter Ausflüge mit Hundeschlitten anbot. Dort habe ich zusammen mit anderen aus meinem Team an vielen Wochenenden geholfen und ein Stück „Kanada, wie ich es mir vorstellte“ erlebt. An dieser Stelle möchte ich einen wie ich finde, wichtigen Tipp für alle, die in eine eher ländliche Gegend kommen, geben: mehrmals während meines Austauschjahres habe ich mich geärgert, keine alten Klamotten mitzuhaben, die ich ohne schlechtes Gewissen dreckig oder kaputt machen konnte, wenn ich zum Beispiel auf der Farm war. Natürlich ist der Platz in einem Koffer begrenzt, aber neue Kleidung kann man jederzeit auch vor Ort kaufen. Im Frühjahr ist „Cabane à sucre“-Zeit. Dann wird der Ahornsirup hergestellt. Die Eltern meines Gastvaters besaßen ein entsprechendes Waldstück mit einer Hütte und zeigten mir genau, wie so etwas funktioniert. Im Februar fuhr meine Familie mit mir nach Québec-City und im November veranstaltete die Partnerorganisation einen Ausflug nach New York, wo auch viele andere Austauschschüler, die ich schon aus Toronto kannte, mitkamen. Außerdem machte ich mit meiner Schule zwei Skiausflüge nach Mont-Tremblant, eine bekannte Skigegend. Ich habe mir in Québec auch Schlittschuhe gekauft, da meine beste Freundin einen riesigen See vor der Haustür hatte und der Winter, wenn man ihn daran misst, wie lang Schnee liegt, von November bis Mai ging. Allerdings war auch der Sommer sehr schön. Es waren dann sehr schnell regelmäßig um die 30 Grad und da wir in den letzten Wochen vor den Sommerferien nur noch für Prüfungen in die Schule mussten, verbrachten meine Freunde und ich viel Zeit am Strand oder an den Wasserfällen der umliegenden Seen. Ich könnte jetzt noch stundenlang weiterschreiben, zehn Monate kann man einfach nicht in ein paar Absätzen wiedergeben. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass ich sehr zufrieden bin, mich für ein Auslandsjahr in Québec entschieden zu haben. Ich würde auch jetzt noch die gleiche Entscheidung treffen und empfehle jedem, der eine andere Sprache lernen möchte, einfach mal was anderes erleben will oder interessiert daran ist, das Leben und seine Inhalte mal aus einer anderen Perspektive zu sehen, es auch zu tun. Es lohnt sich auf jeden Fall in vielerlei Hinsicht.