Bis heute bin ich sicher, dass meine Reise nach Neuseeland das Beste ist was mir passiert ist und passieren konnte. Die Wahl der Organisation, mit der ich mein Traumziel erreichen konnte, war klar, denn auch meine Schwester war vor mir mit into im Ausland gewesen. Ich hab mich beworben und kurz danach wurde ich auch schon zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Zugegebenermaßen hatte ich ein bisschen Angst davor - meine Noten waren nicht ganz so gut wie sonst und ich hatte erzählt bekommen, dass ein Sprachtest durchgeführt wurde. Was wenn ich nicht angenommen wurde? Doch letztlich gab es keinen Grund zur Panik. Das Interview verlief glatt und ich ging freudestrahlend aus dem into Büro, glücklich meinem Ziel einen kleinen Schritt näher gekommen zu sein. Zu dem Zeitpunkt war nur wichtig, dass ich für das gewünschte Programm angenommen worden war. Die damit verbundenen Konsequenzen, nämlich, dass ich meinen liebsten Menschen und gewohnter Umgebung für den Zeitraum eines Jahres „Tschüss“ sagen musste, waren mir da noch nicht wirklich bewusst. Nach dem Interview fühlte ich mich, als ob ich erstmals Luft holen könnte und die Fristen für alle Dokumente die eingereicht werden mussten kamen mir so weit entfernt vor, dass ich keinen Sinn darin sah mich damit auseinander zu setzen. Und so kam es, dass ich zum Schluss alles gleichzeitig und in den letzten Tagen zusammen kratzen musste. Dennoch hatte ich am Ende alle Informationen rechtzeitig zusammen. Mein Visum habe ich an einem Freitag beantragt und nur wenige Tage später fand ich es bestätigt in unserem Briefkasten.
Dass ich einen Monat vor dem gegebenen Flugtermin immer noch keine Bestätigung für eine Gastfamilie hatte, verunsicherte mich etwas, doch glücklicherweise erhielt ich wenige Tage vor dem Vorbereitungsseminar eine E-Mail von meiner Gastmutter, was mich ungemein erleichtert hat. Sie hat sich kurz vorgestellt und mir ein paar Fotos von meiner neuen Familie und ihrem Zuhause geschickt. Ich hab mich sofort in mein bevorstehendes Leben verliebt! Das Vorbereitungsseminar an sich war eigentlich reine Wiederholung von all den Informationen und Warnungen, die bereits in dem Vertrag erwähnt wurden aber es hat Spaß gemacht Leute kennen zu lernen, die das gleiche Ziel verfolgten wie ich, nämlich sich im Ausland zu verwirklichen und allein klarzukommen. Es war schön zu sehen, dass auch die anderen Schüler ähnliche Ängste und Befürchtungen hatten wie ich und wir uns gegenseitig unterstützen konnten.
Die letzten Wochen in der Schule vergingen viel zu langsam und schnell zugleich. Schnell, weil ich mit jedem vergangenen Tag ein bisschen mehr Angst hatte vor dem was mich erwartete. Langsam, weil ich es kaum erwarten konnte mein Abenteuer zu beginnen und meine Gastfamilie und neue Schule endlich kennen zu lernen. Ich hab versucht mir für alle Menschen die mir besonders am Herzen lagen ein wenig Zeit zu nehmen, was gar nicht so leicht war. Die ganze Zeit über, selbst während ich meinen Koffer gepackt habe wenige Tage vor Abflug, kam mir das, was bald geschehen würde, wie ein Traum vor. Ein Traum von dem man zwar weiß, dass er sich bald erfüllen wird, von dem man es jedoch nicht ganz glauben kann. Dann wurde es Zeit Abschied zu nehmen. Die Zeit am Flughafen war sehr emotional - mal von der Vorfreude, mal von Traurigkeit geprägt. Meine Freunde und Familie, die mich bis zur Kontrolle begleiteten blieben mit einem Lächeln auf den Lippen stark, um mir den Abschied zu erleichtern. „Wir werden uns bald wiedersehen.“ Zu dem Zeitpunkt hatte ich für mich entschieden mich nicht von negativen Gefühlen leiten zu lassen und nicht zu weinen, denn dafür gab es keinen Grund. Ich würde sie wiedersehen, und wer mich liebt der würde auch nach einer so langen Zeit für mich da sein und mich nach meiner Rückkehr in Empfang nehmen als wären wir nie getrennt gewesen. Ich habe mir selbst erlaubt mein Leben in Deutschland für eine Zeit hinter mir zu lassen und neu anzufangen.
Der Flug war das geringste Problem da er, mit mehreren Schülern die sich genauso ins Unbekannte stürzten wie ich, relativ schnell verging. Mein erster Eindruck von dem Land war beeindruckend. Trotz der Hochhäuser in der Aucklander Innenstadt, war ein ländlicher, alter Stil zu erkennen den ich nur von Filmen kannte. Die Woche in dem Orientation Camp verging rasant mit vielen netten Leuten und ich habe jeden Tag einen neuen Teil der Kultur des Landes kennengelernt. Außerdem war er eine gute Vorbereitung auf den englischsprachigen Alltag der mich von da an erwartete. Als die Woche vergangen war stand ich erneut mit zittriger Vorfreude an einem Flughafen. Als ich endlich ankam und meine (Gast)Mutter zum ersten Mal in die Arme schloss war ich erfüllt von einem Gefühl tiefster Freude und Erleichterung. Von dem Moment an hatte ich mein neues Leben begonnen. Mit einer Menge kindlicher erster Schritte und Erfahrungen. Das erste ausgiebige Gespräch auf Englisch. Das erste Mal, dass ich meine kleinen Brüder umarmen konnte. Mein neues Zimmer und unser schönes Haus. Die neuen Regeln im Haus, rund ums Putzen, Waschen und den Umgang miteinander. Die Katzen die Tag und Nacht ums Haus schlichen. Der erste Besuch bei meinen Großeltern. Der erste Schultag mit dem den Austauschschülern gewidmeten Powhiri (Willkommensritual der Maori). Der erste Kirchen-Besuch.
Die ersten Wochen in der neuen Umgebung waren überwältigend und ich erinnere mich, dass ich jeden Tag sehr früh ins Bett ging, müde von den neuen Eindrücken. Nach einer Weile entwickelten sich die Dinge schließlich zum Alltag. Es dauerte nicht lange bis ich gute Freunde in der Schule gefunden hatte mit denen ich mich gut verstand und mit welchen ich meine Pausen teilen konnte. Zu Beginn meines Auslandsjahres habe ich mich bemüht meine Fächerwahl möglichst vielseitig zu gestalten. Dennoch trotzdem so, dass meine Interessen bestmöglich vertreten waren. Dies fiel mir nicht schwer, denn die Fächerwahl in Neuseeland ist weit gefächert. Akademisches bis hin zu Künstlerischem, wie Photographie oder Theater, hin zu Sportlichem, wie „Outdoor-Education“, Tanz oder P.E., stehen einem zur Wahl. Ich konnte frei entscheiden mit dem Wissen, dass ich nach einem halben Jahr meine Kurse neu besetzen konnte, sodass ich mindestens 12 der Fächer ausprobieren konnte. Als Austauschschüler wurde man nach Können und Alter in die passenden Kurse eingeteilt. In meinem Fall wurde ich dem „Year 12“, der in der zweiten Hälfte meines Aufenthalts zu „Year 13“ wurde, zugeschrieben.
Als ich mich auf meinen Aufenthalt vorbereitet hatte, hatte ich mir nicht viele Gedanken darum gemacht, was ich in dem Land besonders gern sehen wollte. Ich hatte mir einfach vorgenommen so viel wie möglich zu erleben und mitzunehmen. Ich nahm an so vielen Ausflügen und Aktivitäten teil wie es meine finanziellen Mittel erlaubten. Ging auf einen Ski-Ausflug mit meiner Schule und auf einen durch die Schule vermittelten Ausflug der Südinsel. Schrieb mich ein für das Schulteam für „Dragonboating“, mit dem ich ein halbes Jahr lang (im Verlauf einer Saison) zweimal wöchentlich trainierte. Mit dem Team ging ich für eine Regatta nach Wellington, der Hauptstadt Neuseelands und nahm an mehreren anderen Veranstaltungen in dem Verlauf der Saison Teil. Durch die Schule habe ich ebenso meine Liebe zu Schauspiel entdeckt. Ich konnte an einer Vorführung arbeiten. Mit meinem „Drama“-Kurs reiste ich ebenfalls nach Wellington, um dort einige Stücke die Teil eines Festivals waren anzuschauen.
Dadurch, dass meine Familie auf regelmäßiger Basis die Kirche besuchte, wurde ich schnell in die Gemeinde integriert. Ich begann jeden Sonntag die „Youthgroup“ (Jugendtreff der Kirche) zu besuchen und habe festgestellt, dass eine Gruppe von Menschen die den gleichen Glauben teilen, sehr aufbauend sein können. Durch die „Youthgroup“ nahm ich ebenfalls an mehreren Ausflügen teil: Einem Mädchen-Wochenende, dem jährlichen „Youthcamp“, einem Wanderausflug in Able Tasman (einem der Nationalparks in Neuseeland) und letztlich dem „Eastercamp“. Letzteres ist die größte Zusammenkunft der christlichen Gemeinde quer durch die Südinsel, die jährlich um Ostern stattfindet und bei der rund 1000 Jugendliche zusammen kommen, um Spaß zu haben.
Am Außergewöhnlichsten durch das Jahr hinweg empfand ich die vertauschten Jahreszeiten, die bewirkten, dass meine Sommerferien im November bis Januar waren und auch, dass ich sowohl Weihnachten als auch Silvester im Garten oder am Strand verbringen konnte. Weihnachten war sonst sehr schön, wenn auch anders als das gemütliche kleinfamiliäre Fest das ich von Zuhause gewohnt war. Hier, in meiner zweiten Heimat, hatten wir nämlich gleich mehrere Familien zu Besuch an Heiligabend! Es war ein sehr buntes fröhliches Fest mit vielen Kindern. Den 25. Dezember verbrachten wir mit meinen Großeltern um den Tannenbaum versammelt und haben uns den ganzen Tag an den Weihnachtsgeschenken erfreut.
Während das Jahr verstrich kam es mir vor, als würde die Zeit je länger ich dort war umso schneller vergehen. Viele schulische Veranstaltungen, Verabredungen mit Freunden und Familien-Abende haben zu relativ vollgepackten Nachmittagen und Wochenenden geführt. Erst als andere Mitschüler aus dem Ausland anfingen den Rückweg anzutreten wurde mir klar, dass ich bald schon wieder Abschied von meinem neuen Zuhause nehmen musste. Diesmal jedoch auf einen undefinierten Zeitraum. Ich hatte das Glück, dass ich die Winterferien im Juli auch dort verbringen konnte, wohingegen die anderen Austauschschüler bereits zwei oder mehr Wochen vor mir abreisen mussten. Das packen des Koffers für den Rückflug resultierte in vielen verschenkten oder weggeschmissenen Klamotten. In einem Jahr sammelt sich zusätzlich zu dem Mitgebrachten eine Menge neuer Klamotten und anderer Krimskrams an. Am letzten Abend vor meinem Flug erschien mir das Zimmer das mir über ein Jahr hinweg Heim geboten hatte dann irgendwie leer und ein wenig Furcht einflößend.
Ebenso wie auf dem Weg nach Neuseeland fiel es mir zwar schwer Abschied zu nehmen von meinen Freunden (von denen viele zum Flughafen mitkamen), doch konnte ich mich auch freuen meine Familie wiederzusehen und in die Arme zu schließen. Auch wenn man sich in einer Gastfamilie wohl fühlt und es als sein Zuhause anerkennt, so muss man sich in dem Zeitraum des Auslandaufenthalts trotzdem zurückhaltender verhalten als man es bei der richtigen Familie tun würde. Man muss Rücksicht nehmen auf andere Sitten und manches was man sich in Deutschland erlauben kann scheint unhöflich oder respektlos in dem anderen Land. So war es selbst verständlich eine Erleichterung in die gewohnte, freie Umgebung zurückzukommen. Seit ich wieder da bin besuche ich eine andere Schule. Ich habe zum 10ten Schuljahr hin gewechselt mit dem Wissen, dass ich mich in dem Jahr in dem ich weg war verändern werden würde. Mein Aufenthalt hat mir vieles beigebracht im Sinne von Selbstständigkeit und Interaktion. Es hat mir geholfen mich selbst zu überwinden und auf Menschen zuzugehen. Mir wurde die Möglichkeit gegeben mich unabhängig von dem zu entwickeln, was als Norm des Benehmens galt und was mein Umkreis von mir bis zu meiner Abreise gewohnt war. Ähnlich verhielt es sich mit dem Schulwechsel nach meiner Rückkehr. Es hat mir ermöglicht einen Freundeskreis zu erschaffen, für den ich nicht ‚verändert‘ war sondern einfach nur ‚ich‘. Anders kannten und kennen sie mich gar nicht. Bevor ich wieder mit der Schule in Deutschland angefangen habe, war ich ziemlich ängstlich, dass ich trotz vorsichtiger Wahl meiner Fächer in Neuseeland, meinen deutschen Mitschülern nachhinken und Schwierigkeiten haben würde den verpassten Stoff‘ nachzuholen. Im Verlauf der ersten Schulwochen habe ich jedoch festgestellt, dass meine Befürchtungen unbegründet waren. Ich konnte ohne Probleme mithalten. Manches war sogar eine Wiederholung dessen, was ich in Neuseeland bereits gelernt hatte. Ich versuche immer noch einen regelmäßigen Kontakt mit meinem neuseeländischen Zuhause zu pflegen, doch macht der Zeitunterschied es schwer. Auch der gestresste Alltag der Abitur Qualifikationsphase machen es mir nicht besonders leicht, doch ich schreibe weiterhin E-Mails mit meinen Gasteltern und informiere mich auch bei meinen Freunden über ihr Leben und die Veränderungen die stattfinden seit ich weggegangen bin, was mittlerweile ein halbes Jahr her ist. Ich vermisse die kleine Insel auf der anderen Seite der Welt sehr. Doch weiß ich, dass es sich nicht lohnt Trübsal zu blasen. Ich kann mich an die schönen Momente des Jahres erinnern und bin stolz sagen zu können, dass ich Teil der wunderbaren Kultur werden konnte.