Amerika. Im Nachhinein kann ich gar nicht genau sagen, warum ich einen Austausch in die USA machen wollte. Weil ich wissen wollte, ob High Schools wirklich so wie in Filmen sind? Um Englisch zu lernen? Weil mein Leben zuhause langweilig war? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Ich wollte mich nur mal informieren, bin auf into gestoßen, meine Beraterin vom Interview hat mir dann Mut gemacht, also hab ich mich mal angemeldet - man kann ja immernoch absagen, hab ich gedacht. Dann kam der Brief dass ich in drei Wochen losfliege, aber so ganz realisiert hab ich dass immernoch nicht.
Und plötzlich bin ich in Atlanta am Flughafen über die Grenzlinie gelaufen und da stand so ein großes Schild „Welcome to the United States of America“. Wow. Und was mach ich jetzt? Ich kam nach Mississippi in ein kleines Städtchen. Erstmal war ich total begeistert von Supermärkten, Autos, Golfplätzen, Restaurants, Essen, der Kirche, Klamotten, natürlich dem fääättään Südstaatenakzent jedoch auch geschockt über die Armut von manchen Leuten dort. Aber als sich dann die Anfangsbegeisterung gelegt hat, hab ich gemerkt, dass ich eigentlich ganz alleine bin. Ich hatte so starkes Heimweh, dass ich oft einfach nicht aufhören konnte zu weinen. Ich bin dann aus der Schule nach Hause und saß dort den ganzen Tag alleine, hab Fernseh geschaut, gegessen und mich in meinem Elend gewälzt. Das Schlimme war einfach, dass ich niemanden hatte, mit dem ich reden konnte. Ich war das nicht gewohnt, dass überhaupt niemand für mich da war. Meine Gastfamilie war kaum zu Hause und so richtig stimmte da die Chemie auch nicht. Und Freunde… naja, ich hatte einfach keine. Es gab ein paar aus Kirche und Schule mit denen ich mich ganz gut verstanden habe, die auch immer gesagt haben, dass wir ja am Mittag was machen können, aber dann hatten sie doch keine Zeit oder haben erst gar nicht angerufen. Weil ich durch das viele Essen immer dicker wurde, beschloss ich an einem langweiligen, verheulten Tag joggen zu gehen. Ich quälte mich in meine Laufschuhe und rannte los.
Nach dem Laufen fühlte ich mich so gut! Plötzlich war alles schöner, die Leute waren freundlicher und ich hatte sogar ein bisschen Hoffnung, dass manche davon zu Freunden werden könnten. Ich ging jetzt fast jeden Tag joggen, nicht um abzunehmen, sondern weil es mich glücklich machte. Zwei Monate später lief ich in Tennessee meinen ersten Halbmarathon. Ich war unglaublich aufgeregt, aber ich kam als 2. in meiner Gruppe ins Ziel. Dann mogelte ich mich irgendwie ins Tennisteam, obwohl ich davor noch nie Tennis gespielt hatte. Durch die vielen Spiele und das Training war ich nicht mehr so oft zu Hause und hatte auch nicht mehr so viel Heimweh. Inzwischen hatte ich zwei, drei Freunde mit denen ich ab und zu mal was gemacht hab. Trotzdem saß ich vor allem an den Wochenenden noch oft allein Zuhause rum.
Und dann kam Marlee. Sie saß neben mir im Theaterunterricht und wir führten manchmal ein bisschen Smalltalk, aber sie war immer zu „cool“, als dass ich mich getraut hätte sie zu fragen, mal was mit mir zu machen. Eines Mittags rief sie plötzlich an und wir gingen zusammen für ihre Mum einkaufen und fuhren ein bisschen in die Stadt. Ich glaub sie hat mich nur angerufen, weil sie keine Lust hatte alleine zu gehen, aber irgendwie verstanden wir uns verdammt gut. Von da an machten wir fast jeden Tag was. Sie war mit mir im Tennisteam und nach dem Training ging ich immer noch mit zu ihr, aß mit ihr zu Abend und wir quatschen bis tief in die Nacht. Ich verstand mich so gut mit ihrer ganzen Familie - sie waren genauso wie ich mir meine Gastfamilie immer gewünscht hatte. Marlee und ich wurden wie Schwestern, wir erledigten alles zusammen: Ich übernachtete fünf Nächte die Woche bei ihr, wir gingen am See campen, verbrachten praktisch den ganzen Sommer auf ihrem Motorboot, ihre Familie nahm mich vier mal mit in den Urlaub und schließlich zog ich ganz zu ihnen. Tracy, meine neue Gastmutter, versuchte mir so viel von Amerika zu zeigen, wie es nur ging, und ich denke, dass waren die besten vier Monate meines Lebens.
Drei Wochen nach meiner Heimreise kam Marlee mich besuchen. Wir hatten eine geniale Zeit und ich bin sicher, dass wir uns noch viele Male sehen werden. Wenn ich das alles so lese, hört sich das wie ein Märchen an. Wer hätte am Anfang gedacht, dass mein Abenteuer noch so eine gute Wendung hat? Die Kultur kennenlernen, selbstständiger werden, eine neue Sprache lernen… All diese Sachen erwartet man zu lernen. Deswegen machen so Viele einen Austausch. Aber letztendlich ist das nur ein winzig kleiner Teil von dem, was man wirklich lernt: Über sich selbst, über Freundschaft und Familie, dass die Welt viel größer ist, als man denkt, darüber wie es ist ganz allein zu sein, sich hochzuraffen und vor allem, dass es so viel mehr als Schule und Zickereien gibt, für das es sich zu leben lohnt.