Mein Auslandsjahr 09/10 habe ich in Frazeysburg, Ohio in den USA verbracht. Ich habe meine Gastfamilie einen knappen Monat vor meinem Abflug am 18. August mitgeteilt bekommen und war schon unglaublich nervös, ob ich überhaupt noch eine bekommen würde. Mir ging andauernd im Kopf herum, dass es auch schon Fälle gab, bei denen Austauschschüler erst vor Ort ihre Familie bekommen haben. Ich wollte auf keinen Fall eine davon werden und war so erleichtert, als der heiß ersehnte Brief mit dem Namen meiner Familie endlich in meinen Händen lag, dass ich vor Glück geweint habe. Natürlich habe ich sofort Kontakt mit ihnen aufgenommen und konnte feststellen, dass ich mich blendend mit allen verstehe und auch die Sprache stellte keinerlei Schwierigkeiten dar. Meine Familie bestand aus Tom, meinem Gastvater, Sue, meiner Gastmutter, Matthew und Johnny, meinen Gastbrüdern und Julianne, meiner Gastschwester.
Ungefähr zwei Wochen vor meiner Abreise und nach einigen email-Gesprächen mit der Familie habe ich all meinen Mut zusammengenommen und sie angerufen. Was ist wenn sie einen Dialekt sprechen den ich nicht verstehe? Was ist wenn sie mich nicht verstehen oder uns die Gesprächsthemen ausgehen und diese unangenehmen Pausen eintreten? All diese Fragen gingen mir im Kopf umher als ich das Freizeichen hörte und darauf wartete, endlich die Stimmen der Leute zu hören mit denen ich 10 Monate leben sollte. Als meine Gastmutter Sue dann endlich das Telefon abnahm waren all meine Sorgen verschwunden. Ich habe mich auf Anhieb mit ihr verstanden, sowohl sprachlich als auch inhaltlich gab es keine Probleme und wir haben uns fast eine Stunde lang über unsere Leben, die Schule und das kommende Jahr unterhalten. Ich konnte es gar nicht mehr erwarten sie endlich zu sehen.
Das Abenteuer Auslandsjahr begann für mich, wie gesagt, am 18.August, als ich mit einer Gruppe das Flugzeug nach New York bestiegen habe. Plötzlich waren alle um mich herum in der selben Situation wie ich. Wir wussten alle, dass es schwer werden würde, dass wir Heimweh bekommen würden aber auch, dass wir uns in diesem Moment nichts anderes vorstellen konnten als in diesem Flugzeug zu sitzen. Ich glaube ich habe noch nie sooft wiederholen müssen wo ich mein High School Jahr verbringen werde, wie meine Familie denn so ist, ob ich schon mit ihnen telefoniert hätte und ob ich schon meinen Stundenplan habe. Es gab nur das eine GEsprächsthema. Das Orientation Camp in New York war einmalig. Wir hatten mehrere Gruppenunternehmungen, wie eine Bootstour um die Skyline von NY vom Wasser aus zu sehen, nahe an der Freiheitsstatue vorbei, der Ausflug zum Times Square oder der Walk durch den Central Park aber auch viel Freizeit, wie die eigenverantwortliche Findung des Weges von Chinatown zum Hostel zurück. Ein weiteres Highlight war der Trip zur Brooklyn Bridge bei Nacht. Es war der letzte Abend und wir waren alle erledigt vom andauernden Laufen durch die Stadt aber es hat sich trotzdem eine kleine Gruppe gefunden, die noch einen letzten Fußmarsch auf sich nehmen wollte. Es hat sich gelohnt. Der Anblick von NY bei Nacht ist umwerfend. Ich habe noch nie so viele Eindrücke in so kurzer Zeit gesammelt und konnte in diesen paar Zeilen längst nicht alles erfassen was ich erlebt habe. Es ist etwas was ihr unbedingt mitmachen solltet und worauf ihr euch freuen könnt.
Dann kam der Tag auf den ich am meisten hin gefiebert habe. Das Zusammentreffen mit meiner Familie. Ich musste noch zwei mal in ein Flugzeug steigen bevor ich sie sehen konnte. Sue, Tom und Julianne haben mich abgeholt und direkt herzlich begrüßt und umarmt. Ich habe mich auf Anhieb wohl gefühlt. Mein erster Abend war allerdings ein klein wenig überfordernd für mich. Meine Familie betreibt eine Farm und ist sehr engagiert im Landwesen. Die Muskingum County Fair, wovon Tom Mitorganisator ist und wobei die ganze Familie eine Woche lang im Camper lebt und mit hilft, ging an diesem Abend zu ende. Es ist eine Art Rummel, nur mit viel mehr Tieren und Wettbewerben um das schönste Rind oder Schaf und dem beliebten Traktor Pulling. Ich wurde direkt in diesen Trubel hinein geschmissen und wurde ein weiteres mal von Eindrücken erschlagen. Am späten Abend sind Sue und ich dann nach Hause gefahren, während alle anderen noch da blieben um aufzuräumen und die Tiere wieder zu verladen. Sue hat mir erst einmal das ganze Haus gezeigt, mich dann in mein Zimmer geführt und alleine auspacken lassen und zu Ruhe kommen zu lassen. Und da hat mein Heimweh eingesetzt. Ich habe mich noch nie so einsam und verlassen gefühlt wie an diesem Abend, vor meinem vollen Koffer sitzend, weinend in einem fremdem Zimmer, einem fremden Haus bei fremden Leuten. Ich wollte nach Hause. Dieses Gefühl hielt gute drei bis vier Wochen. Es war grausam. Alle waren super lieb zu mir und haben sich wirklich bemüht aber ich fühlte mich als Außenseiter. Der Schulbeginn machte es nicht besser. Die Cliquen waren schon seit Jahren vorhanden und es war schwer über das Oberflächliche hinauszukommen und echte Freundschaften zu schließen. Ich wollte aufgeben aber ich wusste, dass wenn ich aufgebe ich es mir immer wieder vorwerfen werde. Also biss ich die Zähne zusammen und versuchte auf die Schwimmsaison hinzuarbeiten. Ich wurde Mitglied des Schwimmteams unserer Schule und fand meine besten Freundinnen Emily und Chelsea. Es wurde schon vorher besser und ich fühlte mich nicht mehr allzu fremd an der Tri-Valley High School aber als ich die beiden Schwestern kennen lernte, fühlte ich mich in meinem amerikanischen Leben angekommen. Ich hatte Freunde gefunden die mich als Freundin mochten und nicht nur an einem schnellen Gespräch mit „der Austauschschülerin" interessiert waren. Das tägliche Schwimmen war sehr hart aber das Team mit dem ich jeden Tag zusammen war, war einfach einzigartig. Wir haben andauernd rumgealbert und uns gegenseitig bei Wettkämpfen unterstützt.
Nach der Schwimmsaison fing ich dann mit Leichtathletik an. Es war schwer, vor allem da ich ich es vorher noch nie über eine kurze Joggingphase zum Spaß hinaus gebracht hatte, da ich diesen Sport aber auch mit meinen Freunden gemein hatte, hat es mir Freude bereitet mich an diesem Training und den Wettkämpfen zu beteiligen. In der Schule hatte ich auch „meine Leute" gefunden und hatte in jeder Klasse jemanden auf den ich mich freuen konnte. Schule im allgemeinen war zusammengefasst leichter als in Deutschland aber ich habe meine Zeit gebraucht um mich daran zu gewöhnen jede Woche einen Test schreiben zu müssen und jeden Tag den selben Stundenplan zu haben. Dann kamen noch die unvergesslichen, familiären Erlebnisse.
Weihnachten war meine Lieblingszeit in Ohio. Es war nicht das Weihnachtsfest mit Heilig Abend, was ich sonst gewohnt bin, aber ich war beeindruckt von dem Ausmaß in dem es gefeiert wurde. Heilig Abend sind wir in die Messe gegangen und ich habe mich an zu Hause erinnert gefühlt. Am nächsten Morgen kamen mein verheirateter Gastbruder Matthew mit seiner Frau ganz früh zu uns herüber gefahren und haben uns aus den Federn geworfen. Es wurde ganz traditionell in Schlafanzügen gefrühstückt, mit selbst gemachten Cinamon Rolls und Orangensaft. Danach gab es die Bescherung und am Nachmittag wurde dann bei den Eltern meiner Gastmutter Mittag gegessen. Die beiden darauf folgenden Tage verbrachten wir bei den Eltern meines Gastvaters und der Schwester meiner Gastmutter, die jedes Jahr zwei Tage lang Weihnachten für die Familie ihrer Eltern ausrichtet. Es war wunderschön eine so große Familie zu haben, die mich zu der Zeit schon selbstverständlich als eine von ihnen gezählt hat. Ein zusätzliches i-Tüpfelchen meines Auslandsjahres bat mir die amerikanische Organisation. Sie veranstalteten eine ein-Einwöchige Reise nach New York sowie nach Orlando, Florida. Da ich mit dem Orientation Camp schon in New York war, entschied ich mich für Florida und genoss eine Woche voller Spaß im Disney World sowie einen Tag am Strand mit neuen Leuten die mir alle ans Herz gewachsen sind. Ein Mädchen das ich dort kennen lernte stammt aus Frankfurt, nur knappe 2 ½ Stunden von meiner Heimat Köln entfernt. Unser Kontakt hält bis heute und sie war sogar schon für ein Wochenende in Köln um mich zu besuchen.
Das Besuchen für ein Wochenende klappt natürlich nicht ganz so schnell mit all den Menschen die ich in Ohio lieben gelernt habe. Ich vermisse alle seit meiner Rückkehr noch und kann voller Stolz sagen, dass ich zu den meisten – und vor allem zu denen die mir am Wichtigsten sind – auch heute noch sehr engen und regelmäßigen Kontakt habe. Ich telefoniere mit meinen besten Freundinnen und meiner „zweiten Familie" und bin dank dem Internet und facebook immer auf dem neusten Stand. Ich hoffe, dass ich alle bald wieder in die Arme schließen kann und finde die Zeit mit ihnen ist viel zu schnell verstrichen.
Ich wünsche allen die dieses Geschenk des Auslandsjahres noch vor sich haben alles Gute. Genießt diese Zeit, denn es ist etwas was euch zwar auch Tränen in die Augen bringen kann aber nicht nur Tränen der Trauer sondern auch des Glücks so etwas Einmaliges erleben zu dürfen.