Svenja in Little Rock

„Warum denn Amerika?“, durfte ich mir immer wieder anhören, „ da gehen doch alle hin“. Ja richtig, und genau da wollte ich auch hin. Vielleicht sogar weil es alle machen, oder vielmehr weil man so viele tolle Storys hört. Schon ca. ab der 7. Klasse hatte ich mir fest in den Kopf gesetzt, dass ich eine von denjenigen sein werde, die auch ins Ausland geht. Ich wusste, dass da einiges mehr zugehörte als nur Spaß haben, sondern höchstwahrscheinlich auch einige schwierige Situationen auf mich zukommen werden, trotzdem ließ ich mich nie von meinem Wunsch abbringen. Mit der Zeit wurde das Thema immer populärer, ganz viele meiner Mitschüler erzählten stolz wohin sie denn doch alle gehen würden, die einen klassisch wie auch ich nach Amerika, andere waren bereit den weiten Weg nach Australien zu wagen. In der Pause standen wir immer in einer großen Gruppe von ca. 9 Leuten  und unterhielten uns angeregt über unseren bevorstehenden Aufenthalt. Langsam fing die Planungsphase bei einigen an, man ging zu Informationsabenden in der Schule und bestellte sich Broschüren. Währenddessen fragte ich mich manchmal leise ob denn überhaupt alle einhielten und durchziehen würden, was sie da so erzählten.Auch mich beschäftigte oft abends im Bett die Frage, ob ich mir das wirklich antun soll. War ich wirklich bereit dafür meine Freundinnen hinter mir zu lassen und auf Partys verzichten? Mich beschäftige dieses Gefühl einige Zeit. Nach meinem Gespräch mit meiner auserwählten Organisation into Schüleraustausch, die mir eine Freundin empfohlen hatte, war ich aber voller Energie und Enthusiasmus. Ich muss sagen meine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen war schwerer gesagt als getan, aber in dem Moment wusste ich, dass es die richtige Entscheidung war. Und das war sie auch. Letztendlich muss ich sagen waren wir 4 Mädels die den Sprung wagten, typisch. Die Hälfte ist abgesprungen, ich muss  sagen das war wahrscheinlich eine gute Entscheidung, denn nicht jeder ist für einen Auslandsaufenthalt geeignet, es gehört eine Menge Mut dazu und besonders Lust auf ein großes Abenteuer. Das musste auch ich spüren als der Sommer 2010 immer nährt rückte. Und das schlimmste? Eine Familie hatte ich auch noch nicht zugeschickt bekommen. Es konnte mich überall hin bringen, in den hohen Norden nach South Dakota aber auch in die Südstaaten nach Alabama. Das war ein Nervenkitzel. Ich sehe mich heute noch jeden Tag aufgeregt in den Briefkasten gucken. Natürlich hat jeder Wunschvorstellungen, bei Amerika ganz klar Kalifornien oder Florida, aber meine Eltern waren dagegen einen Aufpreis zu bezahlen, nur um sicherzugehen, dass ich irgendwo ans Meer komme. Sie meinten darum geht es doch gar nicht. Man kann überall, möglicherweise auch auf einer Farm das beste Jahr seines Lebens verbringen. Und so war es auch. Meine Eltern hatten Recht, aber dazu komme ich später noch. Eines Tages war es soweit, meine Mutter hielt den riesigen Umschlag in der Hand, sie war wahrscheinlich noch aufgeregter als ich. Als ich die ersten Zeilen las und ich das Wort A-r-k-a-n-s-a-s lies war ich wie vor den Kopf geschlagen. Kansas hatte ich schonmal gehört, aber Arkansas noch nie. Durch Google wurde mir bewusst, dass es mich in den tiefen Süden Amerikas verschlagen hatte. Im Internet las ich immer wieder “The Natural State“ na super dachte ich , das kenne ich doch schon aus Deutschland. Enttäuschung machte sich breit, vielleicht kam auch alles auf einmal. Als ich jedoch dann auch noch las, dass meine Gastfamilie eine ältere Frau sein würde ohne Kinder bekam ich Panik. So hatte ich mir das alles doch gar nicht vorgestellt?! Ich war geschockt.Meine Mutter jedoch ermutigte mich, dass ich nicht alles hinschmeißen sollte, dass meine Stadt in die ich kommen sollte, Little Rock die Hauptstadt von Arkansas war und es dort bestimmt viele tolle Freizeitmöglichkeiten geben würde. Mit der Zeit lernte ich das zu akzeptieren, nahm Kontakt auf zu meiner Gastmutter, die sich als sehr freundliche aufgeschlossene Dame entpuppte. Ich rate jedem: So schwer es auch sein mag, ruft eure Gastfamilien an! Kümmert euch nicht um euer „schlechtes“ English oder darum, dass euch nichts einfällt, schon allein die Stimme des anderen gehört zu haben ist beruhigend. Also nur Mut! Als Tipp: Schreibt euch vorher auf was ihr in etwa fragen wollt damit ihr den Faden nicht verliert, denn aufregend ist das auf alle Fälle. Nachdem meine Abschiedsfeier vorüber war und der große Tag endlich bevorstand wurde mir bewusst, dass ich Abschied nehmen musste. Das allerdings ging schnell. Am Flughafen erwarteten mich viele andere Austauschschüler, beim Abschied meiner Familie und meiner besten Freundin rollten Tränen , aber sobald ich durch den Security Check war ging die große Reise los. Der Trennungsschmerz war schnell vergessen und alle Schüler hatten sich viel zu erzählen, denn er ging erst einmal nach New York. Die Woche in New York verlief wie im Flug, Hauptsprache war English im Camp aufgrund der vielen Nationalitäten. Man schloss in der kurzen Zeit sogar Freundschaften, enge Freundschaften, zu einigen von damals habe ich während meines Aufenthalts und auch heute noch engen Kontakt. Ich denke dass, das bevorstehende Abenteuer das jeder  vor sich hatte zusammengeschweißt hat. Alle hatten die gleichen Ängste und endlich gab es jemanden der sich genauso fühlte wie man selbst, denn meine Freunde zuhause hörten mir zwar zu, aber so richtig verstehen konnten sie mich nicht. Als ich im Flugzeug saß auf dem Weg nach Little Rock, realisierte ich das erste Mal, dass es jetzt ernst werden würde, fern ab von dem Trubel in New York mit den immer noch aufblitzenden Bildern in meinem Kopf und der Trennungsschmerz im Hinterkopf saß ich nun alleine in einer winzigen Maschine und flog Richtung Süden, meiner neuen Heimat für 1 Jahr. Desto näher ich meinem Ziel kam desto grüner und einsamer wurde die Landschaft unter mir. Der Moment jedoch als ich am Flughafengebäude meine Gastmutter das erste Mal sah werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Es war wunderschön zu wissen, dass jemand genauso aufgeregt war wie ich, jemand hatte ein Zimmer liebevoll hergerichtet und hatte sich genauso vorbereitet wie man selbst. Die zwei Wochen bis die Schule begann vergingen jedoch schleppend, man kannte nun mal keinen, es war heiß und die meiste Zeit verbrachten wir am Pool, der dem Neighbourhood gemeinsam zustand. Der erste Tag in der High-School war so aufregend, wahrscheinlich einer der besten Momente in den 6 Monaten. Alle Nationalitäten und Hautfarben trafen aufeinander, jeder definierte sich mit seinem Sport, schon morgens um acht Uhr liefen die Footballer in ihrer Pracht mit Schulterpolstern herum, während die Cheerleader kichernd in ihren hübschen kurzen, glitzernden Röckchen durch die Mensa liefen. Es war so aufregend, hätte mich jemand gefilmt, sah es bestimmt so aus, als hätte ich mehr Spaß als bei jedem Kinofilm. Die riiiiiesige Fächerauswahl erstreckte sich über Management, bis Fotografie bis hin zu sogar Deutschunterricht. Ich stellte mir meinen Traumstundenplan zusammen und hatte die Pflichtfächer English, Mathe und American History und belegte zusätzlich Marine Biology (Meeresbiologie), Drama(Theater), Französisch, und auch Deutsch was sich als total lustig entpuppte. Meine Deutschlehrerin war hellauf begeistert endlich einen Muttersprachler als Hilfe im Unterricht zu haben. Der Deutschunterricht war für mich mehr als nur ein Spaßfach, teilweise übernahm ich mit den Unterricht. Die Schüler nannten die Lehrerin „ Frau“, so als würden wir unsere English Lehrerin in Deutschland „Woman“ rufen.  Es gab so viel zu gucken, die Schule war gigantisch groß, 3000 Schüler sollten hier untergebracht sein, die Hälfte davon war dunkelhäutig und manchmal passierte es, dass ich die einzige „Weiße“ war in einer Klasse. Anfangs war das unangenehm, weil man kennt das Gefühl aus Deutschland überhaupt nicht. Da saß ich nun alleine und manchmal musste ich die Augen auf und zu drücken damit ich realisierte, dass ich nicht träumte. Alle waren so freundlich, Lehrer unterhielten sich mit mir nach jeder Stunde und waren super interessiert. Das Erste was sie mir entgegneten, wenn ich sagte das ich aus Deutschland komme war: „Kennst du Bratwurst und Dirndl?“.  Es gab so viel wo man gemeinsam drüber lachen und reden konnte… Schule ist die beste Möglichkeit Freundschaften zu schließen, ich trat mehreren Clubs bei, und schnell wurde ich immer mehr Leuten vorgestellt, mit „ This is Svenja our Exchange Student“. Alle wollten immer etwas mit mir unternehmen. Wenn man aus einem anderen Land kommt, ist man ein bisschen wie ein kleiner Star in der Schule. Man bot mir an nach der Schule mit dem Auto mitzufahren statt mit dem Schulbus. Die Amerikaner sind einfach super herzlich, lustig und total interessiert. Mit der Zeit kam Alltag in mein neues Leben, für Heimweh war da überhaupt keine Zeit, die Woche war immer voll bepackt, da die Schule bis 4 Uhr ging, war Nachmittags nicht mehr groß Zeit etwas zu unternehmen, meist bin ich mit Freunden essen gegangen (was auch sonst in Amerika :D ) oder wir sind an den Fluss gefahren und haben Volleyball gespielt, die Zeit verflog.. Mit der Zeit allerdings musste ich auch leider feststellen, dass ich und meine Gastmutter einfach nicht zusammenpassten. Unsere Interessen waren einfach zu unterschiedlich, das merkte nicht nur ich sondern auch sie. Es war ein schwerer Schritt auf sie zuzugehen und zu sagen, dass ich mich nicht wohl fühle, aber im Nachhinein weiß ich, dass es die beste Entscheidung war. Ich bin dennoch weiterhin in Kontakt mit ihr geblieben, wir haben uns mehrmals auch noch getroffen, da sie nur 10 Minuten von meiner neuen Gastfamilie, die ich zugeteilt bekam, entfernt wohnte. Meine neue Gastfamilie war ein einziger Traum, ich hatte 2 Gastbrüder, der eine war in meiner Stufe, der Klassenclown. Ab dem ersten Tag ist er mir in der Schule schon aufgefallen, immer von Mädels umringt und immer für Späße aufgelegt. Mein jüngerer Gastbrüder war eher einer von der gemütlichen Seite und man merkte ihm an. dass es etwas ganz Neues war von nun an ein Mädchen im Haus zu haben. Meine Gastmama und Gastpapa sind die besten Eltern, die ich mir hätte vorstellen konnte (nach meinen leiblichen natürlich). Wir haben so viel gemeinsam unternommen, wir sind oft Downtown gefahren auf den Fischmarkt, und haben uns die kleinen Gässchen angeguckt, meine Gastmama und ich waren oft gemeinsam shoppen, im Theater, Tennis spielen.. usw. Am Wochenende war ich mit Freunden im Kino, auf Partys, Schulveranstaltungen, Footballspielen und und und… Der beste Ausflug war nach Memphis, es war mein Weihnachtsgeschenk an meine 2 Gastbrüder Jake und Tucker. Karten für ein NBA Basketballspiel (Memphis gegen Miami) zu dem wir gemeinsam hinfuhren. Da ich auch selbst Basketball spiele, war es auch für mich das absolute Highlight. Ich kann gar nicht richtig in Worte fassen, wie viel wir gemeinsam erlebt haben. So eine Zeit vergisst man in seinem ganzen Leben nicht. Langsam jedoch neigte sich mein Jahr dem Ende zu und um die Weihnachtszeit kam dann noch die große Überraschung, die Mutter einer guten Freundin lud mich über Thanksgiving nach New York ein, dort war die große Macys Thanksgiving Parade für die kommende Woche geplant. Ein RIESEN Event ich sollte dabei sein! Es war unvergesslich, New York war schon weihnachtlich geschmückt und die Parade war ein riesiges Event. Wir sind morgens um fünf aufgestanden, um uns gute Plätze zu sichern. Es wurde getanzt, gesungen, ein bisschen wie Karneval in Köln, nur das zwischenzeitlich, Kayne West, Keri Hilson und Jessica Simpson vorbeifuhren. 2 Tage nach Weihnachten sollte mein Flug nach Hause sein, die letzte Woche war so schrecklich, immer wieder bekam ich Abschiedsgeschenke zugesteckt, kleine Fotoalben, Bücher, Bilderrahmen, Pullis, alle ließen sich die verrücktesten Sachen einfallen. Doch das größte Geschenk kam noch, Das Wochenende vor meinem Abflug hatte meine Gastmutter sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen, während Freunde mich beschäftigten und ich unwissend mit ihnen zu Mc Donalds fuhr, hatte meine Gastmama währenddessen eine riesige „Going-away“- Party für mich geplant.Als ich dann endlich vor meinem Haus ankam, war ich immer noch unwissend. Als ich die Treppe runterging um Sachen aus meinem Zimmer zu holen, wurde auf einmal die Tür aufgerissen und ich sah in ein Lichtmeer aus Neonlichtern. ALLE meine Freunde waren da, auch Leute die ich über das halbe Jahr nur flüchtig kennengelernt hatte. Ich war so gerührt. Der Abend war womöglich der Beste im ganzen Jahr, wir feierten und tanzten bis spät in die Nacht. Am Abschiedstag waren 15 Leute im Schlafanzug früh morgens mit an den Flughafen gekommen, es war so schwer Abschied zu nehmen  und all das was man sich gerade aufgebaut hatte hinter sich zu lassen. Aber ich wusste ja von Anfang an, dass dieser Moment irgendwann kommen würde… Als ich im Flugzeug saß und durchs Fenster guckte, wusste ich, dass es das beste halbe Jahr meines Lebens war. Ich persönlich habe mich auch verändert, das wusste ich ganz sicher und noch viel mehr wusste ich, dass ich eines Tages wiederkommen würde- in meine 2. Heimat.Im März 2011 kam mich meine beste Freundin für  10 Tage in Deutschland besuchen, ich stehe noch immer in sehr engem Kontakt zu Familie und Freunden. Wir skypen wöchentlich und nächstes Jahr im Sommer fliege ich zurück nach Little Rock. Meine zweite Heimat! Nach der Schule plane ich ein Auslandspraktikum in Frankreich. Studieren würde ich gerne im Medienbereich. Mein Traum wäre ein Journalismus Studium in Hamburg. Mal sehen was die Zukunft bringt. Aber ins Ausland werde ich auf jeden Fall wieder gehen, dort macht man einfach einmalige Erfahrungen!